Heute möchte ich euch wohl eins der bekanntesten Friedenslieder Sag mir, wo die Blumen sind vorstellen, das einen wahrlich internationalen Hintergrund hat!
Der Komponist Pete Seeger
Pete Seeger wird 1919 als Sohn eines Musikwissenschaftlers und einer Geigenlehrerin in New York geboren. 1939 lernt er seine spätere Ehefrau Toshi Ohta kennen, die 1922 in München (!) als Tochter einer Amerikanerin und eines Japaners geboren worden war. Ihr Vater hatte aus Japan fliehen müssen, weil er sich gegen die Militaristen im eigenen Land gestellt hatte. Ohta und Seeger heiraten 1943 und bekommen vier Kinder.
Weil Seeger sich gegen die Internierung von japanischstämmigen US-Amerikanern in den USA im 2. Weltkrieg einsetzt, beginnt ihn das FBI in den 1940er Jahren zu beobachten. Insgesamt fertigt das FBI innerhalb von zwei Jahrzehnten eine fast 1.800 Seiten starke Akte über ihn an. Neben seiner Unterstützung für US-Amerikaner mit japanischem Hintergrund sind insbesondere auch seine zeitweise Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei und sein Friedensengagement verdächtig. 1955 muss er vor dem Kommitee für un-amerikanische Umtriebe erscheinen, in dessen Folge er zu einer 1-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt wird. Nach einer Kautionszahlung wird er freigelassen. Ein Jahr später wird das Urteil – auch aufgrund von Protesten – aufgehoben.
Erst in den 1960er Jahren hört Seegers Überwachung durch das FBI auf. Seeger engagiert sich weiterhin stark als Friedensaktivist und seit den 1970er Jahren auch als Umweltaktivist. Er erhält im Laufe seines Lebens zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderem 1993 einen Grammy für sein Lebenswerk und die National Medal of Arts 1994.
2014 stirbt Seeger im Alter von 94 Jahren in New York.
Der Textdichter Max Colpet
Max Colpet (eigentlich Max Kolpenitzky) kommt 1905 als Sohn jüdisch-russischer Einwanderer in Königsberg/Ostpreußen auf die Welt. Falls ihr nicht wisst, wo das ist: Seit 1946 heißt Königsberg Kaliningrad und ist heute Hauptstadt einer russische Exklave an der Ostsee, südlich vom Baltikum (Estland/Lettland/Litauen). In Ostpreußen, das damals zu Deutschland gehört, gelten Colpets Eltern als staatenlos und so hat auch ihr Sohn keine Staatsbürgerschaft.
1914 wird die Familie im 1. Weltkrieg wegen ihrer russischen Herkunft in Thüringen interniert, 1920 ziehen die Kolpenitzkys nach Hamburg, wo Max Colpet sein Abitur macht. Anschließend beginnt er ein Ingenieurstudium in Berlin, stellt aber fest, dass ihm das Schreiben von Texten besser liegt und lernt dort schon bald viele später berühmte Menschen kennen, z. B. den Dresdner Erich Kästner und den aus Wien zugezogenen Billy Wilder, mit dem ihm anschließend eine lebenslange Freundschaft verbindet.
Als 1933 Hitler und die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kommen, gelingt Colpet die Flucht nach Frankreich. In Paris lebt er in einem kleinen Zimmer im Hotel Ansonia, in dem auch andere aus Berlin vor den Nazis geflohene Künstler untergekommen sind. Dazu gehören
– der Komponist Friedrich Hollaender (von ihm stammt unter anderem die Filmmusik zu Sternbergs Der blaue Engel)
– der Komponist Franz Wachsmann (er liefert unter anderem später die Filmmusik zu Hitchcocks Film Rebecca)
und
– Billy Wilder (der später unter anderem mit Marilyn Monroe Some like it hot dreht).
Sie alle leiden unter akutem Geldmangel, als eines Abends das Telefon klingelt, die Künstler sind gerade beim Kartenspielen. Der Weltstar Marlene Dietrich bittet Colpet und Wachsmann um ein Treffen in Paris. Colpet glaubt an einem Scherz und hängt auf. Erst als nach dem dritten Telefonat der Wagen der Diva tatsächlich vor dem Hotel vorfährt, um ihn und Wachsmann abzuholen, erkennt Colpet, dass es ernst ist: Marlene Dietrich möchte das Lied der beiden Allein in einer großen Stadt auf Platte aufnehmen. Anschließend verbindet Colpet und Dietrich eine lebenslange Freundschaft, sie schreiben einander zahlreiche Briefe, telefonieren und besuchen sich oft.
Colpet geht 1935 nach Wien, um dort als Texter zu arbeiten. 1938 schließt Hitler sein Heimatland Österreich an das Deutsche Reich an und Colpet flieht wieder zurück nach Frankreich. Dort wird er interniert, es gelingt ihm aber 1943 die Flucht in die Schweiz, wo er bis zum Ende des 2. Weltkriegs wieder interniert wird.
Seine Eltern sterben im Holocaust, sein Bruder wird von Stalin nach Sibirien deportiert und stirbt dort.
Bei Kriegsende geht er zurück nach Paris und von dort – auf Einladung Billy Wilders – 1948 nach Hollywood in die USA. 1954 erhält er die amerikanische Staatsbürgerschaft, 1958 kehrt er jedoch nach Deutschland zurück, um in München zu leben und zu arbeiten. Als Grund für seine Rückkehr gibt er an, dass er auf Französisch oder Englisch einfach keine so guten Texte wie in seiner Muttersprache Deutsch schreiben kann.
1966 verlässt Colpet München wieder, um in den folgenden Jahrzehnten in der Schweiz zu leben.
Colpet stirbt 1998 im Alter von 93 Jahren in München.
Die Sängerin Marlene Dietrich
Marlene Dietrich wird 1901 als Marie Magdalene in Berlin in eine gutbürgerliche Familie geboren. Ihr Vater ist Polizeileutnant, ihre Mutter stammt aus einer Juwelierfamilie. In der Schule ist Dietrich nicht besonders gut und sie verlässt 1918 die Schule ohne Abitur. Danach beginnt sie eine Ausbildung als Konzertgeigerin, die sie 1921 wegen Problemen mit einem Arm aufgeben muss. Sie entschließt sich Schauspielerin zu werden.
1923 heiratet sie und bekommt ein Jahr später ihr einziges Kind, ihre Tochter Maria. In den 1930er Jahren trennt sie sich von ihrem Mann, ohne sich scheiden zu lassen.
Nach verschiedenen kleinen Rollen gelingt ihr 1929 der Durchbruch mit der Rolle der Femme fatale Lola in Josef von Sternbergs Film Der blaue Engel. Anschließend geht sie mit Sternberg 1930 in die USA.
In ihrem ersten US-Film Marokko trägt sie Männerkleidung und küsst eine Frau. Das Brechen mit einer tradierten Geschlechterrolle wird eines ihrer Markenzeichen, auch privat trägt sie häufig Männerkleidung und macht durch ihr Vorbild die Hose als feminines Kleidungsstück auch für andere Frauen tragbar. Dietrich hat zahlreiche Beziehungen, sie schläft mit Männern wie mit Frauen, eine ihrer heftigsten Beziehungen ist zum Autor von Im Westen nichts Neues Erich Maria Remarque, der übrigens auch wie viele andere deutschsprachige Künstler vor den Nationalsozialisten fliehen muss und ebenfalls im Pariser Hotel Ansonia lebt.
Obwohl das Nazi-Regime Marlene Dietrich verlockende Filmangebote macht, lehnt sie ab und gibt 1939, noch vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, die deutsche Staatsbürgerschaft auf und nimmt die US-amerikanische an.
Während des 2. Weltkriegs widmet sich Dietrich insbesondere der Truppenbetreuung US-amerikanischer Soldaten. Besonderen Erfolg hat sie bei ihren Auftritten mit dem Spielen einer Singenden Säge, eine Fähigkeit, die sie 1927 beim Drehen eines Films in Wien erlernt hatte. 1947 wird sie von Präsident Truman mit der amerikanischen Freiheitsmedaille ausgezeichnet.
Nach dem 2. Weltkrieg dreht sie mehrere Filme mit Billy Wilder, wobei sie jeden Morgen auf dem Filmset erst einmal selbst mit den Beleuchtern eigenhändig das Licht optimal einrichtet. Wilder kommentiert das einmal später mit den Worten „Sie war die begnadetste Beleuchterin, die ich kannte – nach Josef von Sternberg.“
Ab den 1960er Jahren trat Dietrich vor allem als Sängerin auf. Das Lied Sag mir wo die Blumen sind machte sie zu einer ihrer ikonischen Melodien.
1979 dreht Marlene Dietrich einen letzten Film Schöner Gigolo, in dem übrigens auch David Bowie mitspielt. Anschließend zieht sie sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Sie lebt bis zu ihrem Tod 1992 in Paris und wird auf ihren Wunsch in Berlin begraben.
Das Lied
In einem Interview 2004 erzählt Pete Seeger, dass ihm die Idee zu Where have all the flowers gone 1955 auf einem Flug gekommen ist. Er hatte in Michail Scholochows Buch Der stille Don einige Zeilen eines Donkosaken-Lieds gelesen und sich notiert. Eigentlich hatte er vorgehabt mehr über dieses Lied herauszufinden, wozu es aber nicht gekommen war.
Auf dem Flug findet er seine Aufzeichnungen in seinem Notizbuch wieder. Während er so darüber nachdenkt, fällt ihm auf, dass sich „Long time passing“ dazu gut singen lassen würde, „When will we ever learn“ taucht in seinem Kopf auf und nach kaum zwanzig Minuten hat er das Lied mit drei Strophen in seinem Kopf.
Kurze Zeit später nimmt Seeger die dreistrophige Version im Studio Folkways Records auf. Die LP gelangt zu Joe Hickerson, zu dieser Zeit Student am Oberlin College Ohio. Im Sommer arbeitet er als Betreuer für die Kinder-Musikcamps des Colleges. Hickenroy singt das Lied mit den Kindern, die ihren eigenen Text kreieren: „Where have all the counselors gone? /Open curfew everyone“ (Wo sind nur die ganzen Betreuer hin? Alle gehen ins Bett, wann sie wollen.)
Pete Seeger erzählt, erst Hickerson hätte dem Lied wirklich Rhythmus gegeben. Außerdem fügt Hickerson zwei weitere Strophen hinzu, sodass sich eine Kreisstruktur ergibt, und das Lied endlos weiter gesungen werden kann. Für seinen Beitrag beteiligt Seeger Hickenroy mit 20 Prozent an den Tantiemen.
Erst später macht ein Freund Seeger darauf aufmerksam, dass er die Strophenmelodie aus einem alten irischen Holzfällerlied übernommen hat: Johnson says he’ll load more hay, says he’ll load 10 times a day.
Anfang der 1960er Jahre überträgt Max Colpet das Lied für Marlene Dietrich ins Deutsche. Burt Bacharach arrangiert es für Orchester und Dietrich singt Versionen auf Englisch, Deutsch und Französisch. Pete Seeger findet, die von Marlene Dietrich gesungene deutsche Version seines Liedes würde sogar besser klingen als die englische Originalversion.